Chico Buarque

Brasiliens Multitalent
Man kann davon ausgehen, dass Brasilien Reisende unterwegs den Liedern von Chico Buarque begegnen. Er ist eine brasilianische Ikone, berühmt geworden durch seine politischen Lieder gegen die Militärdiktatur und seine romantischen Balladen. In den vergangenen Jahren hat Chico sich auch als Schriftsteller einen Namen gemacht und wird in Brasilien als Nationalheld verehrt, obwohl er schon längst keine Hitparaden mehr stürmt. Dennoch ist er nach wie vor präsent im Kulturleben und eine Referenz der brasilianischen Musikszene.
Chico Buarque, der eigentlich Francisco Buarque de Hollanda heißt, wurde am 19. Juni 1944 in Rio de Janeiro geboren. Aufgewachsen ist er in einem intellektuell und kulturell geprägten Umfeld in Sao Paulo und Italien. Schon im Alter von neun Jahren komponierte Chico Karnevalsmärsche. Seine künstlerische Laufbahn begann in den frühen sechziger Jahren. Das war die Zeit, als der Bossa Nova von den Stadtvierteln Rio de Janeiros aus seinen Siegeszug antrat und das Lied vom „Mädchen von Ipanema“ in aller Munde war. Der junge Mann brach sein Architekturstudium ab. Nach ersten Plattenaufnahmen gelang ihm 1966 mit dem Lied „A banda“ der nationale und internationale Durchbruch. Sein bis heute wohl bekanntester Song erzählt, wie eine Band durch die Straßen einer brasilianischen Kleinstadt marschiert und die Menschen für einige Minuten aus ihrem Alltag reißt, bevor der Zauber wieder verfliegt. In Deutschland wurde daraus ein Latino-Schlager über eine Mexikanerin namens Rosita mit „Apfelsinen im Haar“.
Politisch setzte Chico sich kritisch mit der damaligen Militärdiktatur auseinander. Er war der am meisten verbotene und zensierte Künstler Brasiliens und ist bis heute eine Symbolfigur des Widerstands gegen Unterdrückung. Unzufrieden mit der Politik entschied er sich 1969 für das Exil in Italien. Ein Jahr später kehrte er jedoch zurück. 1971 bot er den Machthabern mit „Apesar de voce“ (Dir zum Trotz) die Stirn und schrieb das sozialkritische Album „Construcao“ über den Teufelskreis der Diktatur. Mit Wortwitz und Doppeldeutigkeit versuchte der Sprachkünstler stets, die Zensoren auszutricksen und veröffentlichte Musik auch unter dem Pseudonym Julinho da Adelaide. Wurde er trotzdem verhaftet, baten ihn die Polizisten oft heimlich um ein Autogramm.
Als die Demokratie Mitte der achtziger Jahre aufblühte, blieb Chico kreativ und produzierte etwa ein Album pro Jahr. Er schrieb tieftraurige und sinnliche Liebeslieder. Außerdem engagierte sich das Ausnahmetalent für die brasilianische Landlosenbewegung „Movimento sem terra“, zu deren Unterstützung er 1997 das Album „Terra“ (Erde) aufnahm. Mit dem Singen allein nicht ausgelastet, verfasste Chico mehrere Theaterstücke. Die „Opera do Malandro“ repräsentierte 1987 seine Version von Brechts Dreigroschenoper. Darüber hinaus brachte er Titelsongs für Filme wie „Bye Bye Brasil“ von Carlos Diegues zu Papier. Chico Buarque ist zudem Autor von fünf Romanen. Zuletzt auf Deutsch erschienen ist 2013 „Vergossene Milch“.
Auf der Bühne macht sich der Star, der für seine blauen Augen und seine Ausstrahlung auf die Frauen bekannt ist, recht rar. Dennoch ist er mit über siebzig Jahren immer noch künstlerisch aktiv. Er zählt bereits das fünfundvierzigste Album, das den schlichten Titel „Chico“ trägt. Kluge und einfühlsame Texte zeichnen den großen Musiker aus. Die bekanntesten Melodien haben jedoch seine frühen Lieder, die selbst viel später geborene Brasilianer mitsingen können. Vielleicht auch Ihr nach dem nächsten Brasilien Urlaub…
Quelle: Moritz